Sie war die perfekte Interpretin für eine Hymne auf die „Mutter aller Festivals“, wie das Woodstock Music and Arts Festival im Jahr 1969 gerne genannt wird: die Kanadierin Joni Mitchell war Ende der 60er Jahre eine prägende Figur jener Folk-Szene, die durch das Festival in den New York nahen Catskill Mountains endgültig Weltruhm erlangen sollte. Ihre helle Stimme, ihre enge Freundschaft zu anderen prägenden Figuren wie Neil Young und vor allem ihre ätherischen Kompositionen, die sie mit poetischen, haltungsstarken Lyrics verband, machten Mitchell zur Ikone der Hippie-Bewegung. Und ebenjene Bewegung setzte auf dem Gelände des Milchfarmers Max Yasgur ein Statement für die Kraft der Jugend, der Musik, für den Frieden und gegen den Vietnamkrieg.

Woodstock war dabei zugleich Höhepunkt und Ende der Hippie-Ära, denn das Festival, das maßgeblich vom Promoter Michael Lang und dem Labelmanager Artie Kornfeld initiiert wurde, war von Anfang an ein Brückenschlag mit jenen Kräften, die man eigentlich bekämpfen wollte: Armee und Polizei übernahmen die Festivalsicherheit, die für damalige Verhältnisse sehr hohen Gagen wurden aus Wall-Street-Risikokapital bezahlt, maßgeblich von John P. Roberts und Joel Rosenman, die Investitionsmöglichkeiten im noch recht jungen Event- und Festivalbereich suchten. Hochprofessionell und auf kommerzielle Verwertung ausgerichtet, war auch die Berichterstattung in der Dokumentation, die Michael Wadleigh zu verantworten hatte. Er filmte mit zehn Kameras das Wochenende, interviewte Künstlerinnen und Künstler, Macher und Fans - und machte daraus die über drei Stunden lange Dokumentation „Woodstock“, die später einen Oscar bekommen sollte. Und die das finanzielle Desaster, das Woodstock unterm Strich war, abfederte – vor allem in Verbindung mit dem Soundtrack, der wie der Film bei Warner erschien.

Woodstock lieferte damals die Bilder, die unsere Vorstellung von einem Festival bis heute geprägt haben. Es war DAS Event, über das Amerika in diesem Jahr sprach. Und man konnte durch die zahlreichen Medienberichte in den Nachrichten in diesen Tagen Mitte August 1969 quasi in Echtzeit zuschauen. Organisatorisch ein Desaster, das von der viel zu großen Publikumsmenge überrannt wurde, fanden die historischen Gigs Stunden verspätet statt, kämpfte man an allen Fronten gegen einen Abbruch, musste Musiker mit Militärhelikoptern einfliegen, weil die Straßen verstopft waren – schaffte es aber dennoch mit viel Glück, einem einzigartigen friedvollen Spirit und viel Hilfe aus der Nachbarschaft, dass alles einigermaßen gut ging.

Es passt zu dieser Geschichte, dass die bekannteste Hymne auf Woodstock von Joni Mitchell stammt. Denn ihr geht es wie den meisten, die den Mythos Woodstock später begründen und in die Welt tragen sollten: Sie war gar nicht da. Einer ihrer Manager hatte ihr weiß gemacht, ein TV-Auftritt in der „The Dick Cavett Show“ am gleichen Wochenende sei spannender als ein Auftritt beim Woodstock. Also saß sie in einem New Yorker Hotelzimmer und knickte wegen der schwer möglichen Anreise auch den Besuch ihres damaligen Lebenspartners Graham Nash, der dort mit Crosby, Stills & Nash spielte. Sie schrieb die Hymne also nach den Bildern, die sie im Fernsehen sah, und glich sie mit den Eindrücken ihres Freundes Nash ab. In Interviews sprach sie über diese unglückliche Position und sagte einmal: „Dieser Frust darüber, nicht dabei sein zu können, hat mir einen intensiven Blick auf Woodstock ermöglicht. Ich war einer von den Fans. Ich war, wie so viele junge Menschen, ein kid, who couldn’t make it.“

Wer weiß, vielleicht sorgte ja genau das für die richtige, sehnsüchtige Stimmung, die aus ihrem Lied spricht. Sie träumt sich einfach auf den Weg und beschreibt sehr szenisch, was sie sich erhofft hatte: „I came upon a child of God / He was walking along the road / And I asked him, where are you going / This he told me / I’m going on down to Yasgur’s farm.“ Nach diesen Zeilen ist man mit Joni Mitchell auf der vollgeparkten Straße, die zur Farm führte, bis sie dann im Refrain das große Ganze ins Visier nimmt und den Spirit der Hippies auch aus der Ferne in wundervolle Zeilen gießt: „We are stardust / We are golden / And we've got to get ourselves / Back to the garden.“ Worte, die man eben auch – oder gerade dann – fühlen kann, wenn man als junger Hippie am anderen Ende der Welt sitzt und im Fernsehen das Festival des Jahrhunderts sieht.

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